Inflation und Klimawandel

Samir Sadak mit Dr. Simon Kuntze ©Gerd Herzog

Die Kirche hilft Straßenkindern und jungen Frauen

Besuch aus Ägypten: Pfarrer Samir Sadak leitet den Sozial- und Entwicklungsdienst der Nilsynode. Und spricht in unserem Interview über drängende Armut, die Not junger Frauen und Temperaturen von 47 Grad.   

Die Nilsynode, die protestantische Partnerkirche in Ägypten, engagiert sich seit langem im Sozial- und Bildungsbereich. Bei einem Besuch im Berliner Missionswerk informierte Pfarrer Samir Sadak nun Direktor Dr. Christof Theilemann und Nahostreferent Dr. Simon Kuntze ganz aktuell über die Arbeit vor Ort. Die Nilsynode hat etwa 250.000 Mitglieder in 314 Gemeinden und ist Trägerin von 22 Schulen, die Kindern und Jugendlichen einen Bildungsweg vom Kindergarten bis zum Abitur anbieten. Darüber hinaus ist sie Trägerin einer Spezialschule für Behinderte und einer Berufsschule für Sekretärinnen. Neben den Bildungseinrichtungen unterhält die Kirche Krankenhäuser und Gesundheitsstationen.

DREI FRAGEN AN SAMIR SADAK:

Warum ist der Sozial- und Entwicklungsdienst (CSD) Ihrer Kirche so wichtig für die protestantischen Christ:innen Ägyptens?

Samir Sadak: Zum einen möchte unsere Kirche die Gläubigen begleiten; mit der Bibel, mit Gebeten, mit Gottesdiensten. Aber wir möchten ihnen auch helfen, besser zu leben. Deshalb hat der CSD Programme für Bedürftige; deshalb bemühen wir uns darum, dass sie ein Einkommen haben. Zum Beispiel haben wir Programme mit Mikrokrediten, damit die Menschen es schaffen, selbstständig zu werden. Damit ihre Kinder eine Schule besuchen, etwas lernen können, eine Perspektive habern. Es gibt außerdem viele Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Wir finanzieren Hilfsmittel, zum Beispiel Rollstühle und Prothesen, damit die Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen können. Zweitens helfen wir Straßenkindern. Ich selbst sehe immer wieder Kinder, die den Müll nach einem Stück Brot durchsuchen müssen. Wir können nicht allen helfen, aber wir tun, was wir können. Drittens: In jüngster Zeit werden Hilfen für junge, alleinstehende Frauen immer wichtiger. Die Not ist groß, denn unter den Armen in Ägypten werden Mädchen immer noch sehr jung verheiratet, damit ihre Geschwister überleben können. Aber viele der jungen Ehemänner machen sich nach Europa auf, oder in die USA, um Arbeit zu suchen. Sie nutzen illegale, lebensgefährliche Routen. Viele sterben unterwegs. Den Witwen und ihren Kindern fehlt es am nötigsten, sie stehen vor dem Nichts. Ihre Familien können sie nicht unterstützen – sie können sich ja kaum selbst helfen. Hilfe vom Staat gibt es nicht. Stattdessen bekommen diese jungen Frauen, zum Teil noch Teenager, dubiose Angebote. Wir wollen sie davor schützen. Wir wollen, dass sie sich selbst helfen können, dass sie zum Beispiel eine kleine Schneiderei aufmachen können. Wir geben ihnen eine Nähmaschine und eine Ausbildung.
 
Was sind die drängendsten Herausforderungen?

Samir Sadak: Inflation und Klimawandel. In den letzten beiden Jahren sind die Preise explodiert, sie haben sich verdoppelt und verdreifacht. Aber die Löhne sind gleich geblieben. Ebenso sind die Mieten gestiegen, die Menschen haben nichts zu essen und verlieren darüber hinaus ihre Wohnung. In diesem Sommer wurde auch dem letzten deutlich, dass Klimawandel uns alle trifft. In den letzten drei Jahrzehnten ist die Temperatur in Ägypten um über ein Grad angestiegen, alleine in den letzten zehn Jahren stieg die Temperatur um ein halbes Grad. Das liegt über dem globalen Durchschnitt! In Kairo und in anderen Landesteilen haben wir in diesem Sommer Temperaturen bis zu 47 Grad gemessen. Klimaanlagen können sich nur wohlhabende Familien leisten. Abgesehen von den Anschaffungskosten sind es vor allem die horrenden Stromkosten, die Klimaanlagen zu einem Luxusgut machen. Auch hier gilt: Die Armen leiden am meisten.

Wo engagieren Sie sich?

Samir Sadak: Vor allem in den armen Gemeinden Oberägyptens. Von Norden nach Süden nimmt die Armut zu in unserem Land. Im Nildelta gibt es wohlhabende Kirchengemeinden, aber in den kleinen Dörfern im Süden des Landes leben Familien mit drei und vier Kinder in einem Raum, ohne fließendes Wasser und Toiletten, manchmal ohne ein Dach über dem Kopf. Dort hilft unsere Kirche.

Mit Samir Sadak sprach Gerd Herzog, Mitarbeiter in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

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