Jerusalemsverein: Evangelische Schulen im Fokus

“Empathie ist der Schlüssel zur Verständigung”

Beim 172. Jahresfest des Jerusalemsvereins in Berlin am 2. März standen die Herausforderungen und Perspektiven evangelischer Bildung in Palästina im Mittelpunkt. Alle Gäste auf dem Podium betonten die Bedeutung von Verständigung, Resilienz und Bildung – trotz der schwierigen Lage.

Beim Festnachmittag im bis auf den letzten Platz gefüllten großen Hörsaal des Kaiserin-Friedrich-Hauses betonte Bedford-Strohm im Gespräch mit Moderator Marc Frings, dass im Konflikt um Israel und Palästina die Empathie für die jeweils andere Seite der Schlüssel zur Verständigung sei. Es gehe darum, über extreme emotionale Gräben hinweg ins Gespräch zu kommen, auch mit Menschen, die die andere Sicht vielleicht noch nie gehört haben. Eröffnet hatte das Jahresfest Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen. Er predigte im Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt über Amos 5,21-24.

Zum Thema „Evangelische Bildung in Palästina – Perspektiven in Zeiten der Krise“ diskutierten anschließend der deutsche Schulleiter und die palästinensische Schulleiterin von Talitha Kumi, Birger Reese und Laura Bishara, mit Eva Azar, der stellvertretenden Bildungsdirektorin der ELCJHL. Azar ist zuständig für die evangelischen Schulen in Beit Sahour, Bethlehem und Ramallah.

Laura Bishara betonte, dass in Talitha Kumi die Verständigung und die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler eine zentrale Rolle spielen. Dazu tragen beispielsweise die Morgenandachten bei, in denen Muslime und Christen gemeinsam beten und Themen wie Liebe, Verständnis und Toleranz behandelt werden. In vielen Programmen und AGs können sich die Kinder und Jugendlichen zu starken Persönlichkeiten entwickeln und Empowerment erfahren. Sie lernen Kompromisse zu finden und auch in Konfliktsituationen im Gespräch zu bleiben.

Birger Reese hob eines dieser Programme, die Model United Nations (MUN), hervor, bei der Sitzungen der Vereinten Nationen simuliert werden. „Die Ernsthaftigkeit und die Intensität, mit der das in Talitha betrieben wird, ist schon bemerkenswert“ sagte Reese. Die Schülerinnen und Schüler befassen sich intensiv mit den Interessenlagen unterschiedlicher Länder und verhandeln diese in Gremien der Vereinten Nationen. Sie lernen dabei Debattieren, Argumentieren und Rhetorik.

Die Krise in Palästina hat sich mit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023 und dem Gaza-Krieg auch im Westjordanland weiter zugespitzt, mit zahlreichen zusätzlichen Checkpoints, Straßensperrungen, Einsätzen des israelischen Militärs und zunehmender Gewalt von Siedlern. Das stellt die Schulen vor einige Herausforderungen.

Eine davon ist die Abwanderung von Schulabgängern ins Ausland. Evar Azar sagte, dass viele Schülerinnen und Schüler es kaum erwarten könnten, das Abitur zu machen und dann das Land zu verlassen. Sie betonte, dass die Gesellschaft insgesamt und insbesondere die Kirchengemeinden und Familien die jungen Erwachsenen brauchen: „Wir bekommen unsere Energie durch unsere jungen Menschen.“ Ermutigung erfahre sie von denen, die sich bewusst dafür entschieden hätten, in Palästina zu bleiben und sich den Problemen des Landes zu stellen, die an den Frieden glaubten und sich die Hoffnung bewahrt hätten. Azar sieht darin ein großes Vertrauen in die evangelischen Schulen und ihre internationalen Partner als Schutzschild und Förderer für die jungen Menschen. „Wir sind sicher, dass die Samen, die wir mit unseren Schulen säen, ihnen eine gute Zukunft geben werden“, sagte sie und verwies auf die palästinensische Tugend „Sumud“, Widerstandsfähigkeit. „Wir bewahren unsere Hoffnung und ermutigen uns gegenseitig. Wir wissen, dass Gott uns nicht im Stich lässt“.

Birger Reese nannte die angespannte Sicherheitslage als eines der größten aktuellen Probleme für Talitha Kumi. Es gebe ein großes Unsicherheitsgefühl und der Schulbetrieb werde durch bestimmte Ereignisse gestört. „Das ist eine riesige Herausforderung“, sagte er. Eine weitere sei die wirtschaftliche Situation mit 80 Prozent Arbeitslosigkeit und dem brachliegenden Tourismus in einer Region, die davon lebt. „Das ist atmosphärisch bedrückend und allenthalben greifbar.“

Mit Blick auf die Sicherheitslage ergänzte Laura Bishara, dass sie von manchen Familien gefragt werde, ob es nicht möglich sei, wegen der teilweise schwer erreichbaren Schule wieder den Online-Unterricht einzuführen, wie in den Tagen nach dem 7. Oktober 2023. Dazu sagte sie: „Ich weiß, dass es vielleicht einfacher ist, von zu Hause aus am Online-Unterricht teilzunehmen. Aber wir wollen ganz bewusst die Normalität fördern, dass die Schüler in die Schule kommen und ihre Freunde treffen. Diese Normalität ist uns wichtig, auch wenn wir damit leben müssen, dass einige deutlich zu spät kommen. Wichtig ist, dass in diesen Zeiten alle in der Schule sind.“

Musikalisch umrahmt wurde das Jahresfest von arabisch-christlichen Liedern. Bischof Sani Ibrahim Azar begleitete am Keyboard den Gesang, der unter anderem von seiner Tochter, Pfarrerin Sally Azar, seiner Frau Nahla, zwei Inwärts-Freiwilligen aus Palästina und den Podiumsteilnehmerinnen unterstützt wurde.