"Man zahlt einen hohen Preis"
Wie nah kann ein weit entfernter Konflikt sein? Beim 21. Berliner Oberstufenforum begegneten über 200 Schülerinnen und Schüler zwei Männern, die im Nahost-Konflikt Angehörige verloren haben – und sich dennoch gemeinsam für den Frieden einsetzen. Ein bewegender Austausch über Trauma, Versöhnung und die Kraft des Dialogs.
"Good morning!" sagte Wajih Tmaiza und wiederholte den Gruß auf Arabisch und Hebräisch. Viele Augen blickten gespannt auf die Bühne. Im Saal der Katholischen Akademie, mit über 200 Schülerinnen und Schülern aus mehreren Schulen Berlins, war es ungewöhnlich still. Auf dem Podium berichteten der Israeli Yuval Rahamim und der Palästinenser Wajih Tmaiza beim 21. Berliner Oberstufenforum am 28. Januar 2025 vom „Parents Circle Families Forum“ von ihrem Leben, ihrem Alltag und ihrem Engagement in dieser Organisation.
Das Berliner Oberstufenforum ist eine Veranstaltungsreihe für Berliner Schülerinnen und Schüler der Oberstufe (und ihre Lehrer:innen), die auch vom Berliner Missionswerk unterstützt wird. Nach einem Vortrag ausgewählter Fachleute aus den Bereichen Philosophie, Religionsphilosophie, Theologie oder Ethik diskutieren die Jugendlichen das Vorgetragene untereinander – ohne ihre Lehrer. Dabei werden sie von Moderatoren aus der Akademie unterstützt und ermutigt, die Erkenntnisse dieser „Disziplinen des Nachdenkens“ kennenzulernen und für den eigenen Umgang mit Religiosität und Zweifeln fruchtbar zu machen. Das 21. Forum hatte den Titel: „Fern und doch so nah. Der Israel-Palästina-Konflikt in Berlin“.
"Man muss einen hohen Preis bezahlen, um dieser Organisation beizutreten", sagte Yuval. Denn das Parents Circle Families Forum (PCFF) ist eine Organisation von Mitgliedern, die nahe Angehörige im Nahost-Konflikt verloren haben und sich jetzt für den Frieden einsetzen. Er selbst hat 1967 seinen Vater im Sechstagekrieg verloren. Wajihs Bruder wurde von israelischen Soldaten erschossen. Die Schülerinnen und Schüler hörten aufmerksam zu, auf den Gesichtern spiegelte sich gespanntes Interesse. Sie hörten, wie Wajih und Yuval erzählten, wie sie die Wut und den Wunsch nach Rache überwunden und sich dem PCFF angeschlossen haben, um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Wie wichtig es ist, gerade jetzt die Stimme beider Seiten in die jeweils andere Community zu bringen – und der Befürchtung entgegenzutreten, die jeweils andere Seite wolle keinen Frieden.
Dann gingen die Schülerinnen und Schüler mit ihren Trainer:innen in Workshops, wo sie ohne ihre Lehrkräfte das Gehörte ohne Scheu reflektieren konnten. Dorothea Gauland, Referentin für den interreligiösen Dialog im Berliner Missionswerk, ging mit den Lehrer:innen und anderen Gästen zu einem Workshop von Rabbinerin Dr. Tirzah Firestone, Psychotherapeutin und Autorin. Sie forscht zur Überwindung intergenerationeller Traumata. Es geht darum, wie Traumata sich auch dann vererben, wenn nicht darüber gesprochen wird – und wie sie sich noch Generationen später auswirken. Die Psyche beeinflusst, so Dr. Firestone, sogar die Funktion von Genen. So wurde deutlich, wie stark unsere Gesellschaft und die aktuellen Diskussionen in Deutschland von diesem "Erbe" beeinflusst sind.
Zum Schluss kamen noch einmal alle im Plenum zusammen. Die Fragen, die die Schüler:innen in den Workshops erarbeitet hatten, reichten von der Bitte um konkrete Ratschläge für die Durchführung weiterer Veranstaltungen mit anderen Schülerinnen und Schülern bis zu politischen Themen („Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung? Andere Modelle?“). Yuval Rahamim und Wajih Tmaiza betonten, dass das PCFF keine politische Organisation sei und es ihnen nicht um eine bestimmte Lösung gehe, sondern darum, darauf hinzuwirken, dass es überhaupt eine Lösung gibt ("The best solution is to have a solution", "I just want to stop the killing").
Dorothea Gauland ist überzeugt, dass solche Gespräche wertvoll und wichtig sind. „Es braucht Diskursräume, in denen Menschen gehört werden, die selbst von den Auswirkungen dieses Konflikts betroffen sind“, sagt sie, „Zuhören und Herzen, Augen und Ohren für differenzierte Wahrnehmungen zu öffnen, ist essenziell."
Deshalb gilt ihr besonderer Dank allen, die diese Veranstaltung ermöglicht haben: Den Kooperationspartnern Katholische Akademie zu Berlin, New Israel Fund Deutschland e.V. und dem freien Trainer Mohamed Ibrahim. Auch den Förderern ist zu danken: Dem Erzbistum Berlin, der Dr. Buhmann Stiftung für interreligiöse Verständigung sowie der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V.