Wochen der Dunkelheit: Trauer für die Partnerkirche

Nicht nur in der Region Tigray tobt der Krieg in Äthiopien

Es sind Wochen der Dunkelheit und großen Trauer für unsere Partnerkirche in Äthiopien. Darüber schreibt Afrika-Referent Dr. Martin Frank in der "Kirche".

Amanuel ist Direktor einer weiterführenden Schule unserer Partnerkirche, der äthiopischen evangelischen Mekane Yesus Kirche, in der Stadt Dembi Dollo im Regionalstaat Oromia. Manchmal, wenn das Internet nicht abgeschaltet ist, berichtet er über die Spuren des Krie-ges, der in den letzten Monaten immer näher an die Stadt gerückt ist und den Alltag bestimmt: „Nachts ziehen die Soldaten der Rebellen, der OLF, durch die Stadt, tagsüber die Soldaten der Regierungsarmee. Viele Straßen werden immer wieder blockiert. Die Menschen leiden. Vor kurzem kamen Soldaten auf unser Gelände und nahmen einfach beide Pick-ups mit. Wir haben sie später ohne Reifen im Wald wiedergefunden.“


Zur Erinnerung: Seit mehr als zwei Jahren tobt in Äthiopien ein schrecklicher Krieg, der kaum in unseren Medien erwähnt wird. Premierminister Abiy Achmed kam 2018 an die Macht. 2019 bekam er den Friedensnobelpreis zugesprochen, vor allem für die Aussöhnung mit Eritrea. Wer hätte gedacht, dass er mit Unterstützung Eritreas und amharischer Milizen kaum ein dreiviertel Jahr später einen lang vorbereiteten Angriff der äthiopischen Streitkräfte auf den – je nach Lesart – abtrünnigen oder seine Autonomie suchenden Regionalstaat Tigray begann. Der Krieg weitete sich schnell  auf die Nachbarregionen Amhara und Afar aus, mit Folgen für das gesamte Gebiet am Horn von Afrika. Es wurde schnell deutlich, dass Abiy Achmed und seine Alliierten ihr lautstark verkündetes Konzept der Einheit des Landes mit aller Gewalt durchzusetzen versuchen. Dabei geht es ihnen offensichtlich darum (wie ihr Vorbild Menelik II vor über einhundert Jahren), die Geschichte und Identität verschiedener Bevölkerungsgruppen auszulöschen. Bisher gab es über 500.000 Tote. Hunger und Vergewaltigungen wurden systematisch als Kriegswaffen eingesetzt, die Region völlig von der Außenwelt abgeschottet. Viele kulturelle und religiöse Stätten sind zerstört worden. Schon seit Jahrzehnten leiden viele Ethnien unter brutalen Zentralisierungsbestrebungen der sich abwechselnden Diktaturen. Besonders Oromia ist immer wieder Schauplatz der Gewalt. Die Oromo sind neben den Amharen, die Abiy Achmed unterstützen, die bevölkerungsreichste Ethnie Äthiopiens. Die sog. Oromo Liberation Front (OLF) kämpft mit Waffengewalt für eine stärkere Autonomie Oromias.


Über die Lage in Oromia wird international so gut wie nicht berichtet. Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) schätzt, dass 2022 allein um die 740.000 Menschen in Oromia intern vertrieben wurden und mehr als 3.5 Millionen unter der extremen Dürre leiden, die Teile Ostafrikas seit Jahren heimsucht. In Oromia ist unsere Partnerkirche mit ihren über 10 Millionen Mitgliedern am Stärksten verankert, ca. 65 Prozent sind nach ihren Angaben Oromo. Am 2. November 2022 wurden mehr als 60 Menschen, viele Kirchenmitglieder, in Bila in West-Wollega von Drohnen getötet, als sie auf dem Markt waren. Nur vier Tage später griffen bewaffnete Gruppen aus der Amhara-Region eine andere Kirchengemeinde während des Gottesdienstes in Ost-Wollega an. 15 Gemeindeglieder wurden ermordet, hunderte von Menschen schwer verletzt. Der leitende Bischof unserer Partnerkirche, Rev. Dr. Yonas Yigezu, erklärte dazu in einer mutigen Pressekonferenz am 11. November, erstmal seit Ausbruch des Krieges öffentlich, die die Namen aller Toten auflistete: „Für unsere Kirche ist diese Woche eine Woche der Dunkelheit und großen Trauer. Tag für Tag verliert unsere Kirche ihre Mitglieder wegen des Krieges an vielen Orten und Regionen in Oromia. Wir verurteilen diese Massaker und sind sehr traurig, dass sich die Regierung nicht bemüht hat, verantwortlich für die Bevölkerung in der Kom-mune zu handeln, um diese Brutalität von Anfang an zu verhindern oder auch nachher nach den Tätern zu suchen.“ Yonas Yigezu weiß, so sagte er mir bereits am Rande der Versammlung des Weltkirchenrats  in Karlsruhe in September, dass die Regierung der Kirche nicht mehr traue. Sie weiß, dass jede Kirche in ihrem Auftrag als Friedenskirche gegen den Krieg sei. Außerdem werfe sie der Mekane Yesus Kirche immer wieder vor, die Kämp-fer:innen der OLF zu unterstützen, was aber definitiv nicht stimme. Seine Kirche wende sich nun mit aller Kraft den Opfern des Krieges zu. Viele Mitglieder seien durch die brutalen Vorkommnisse des Krieges traumatisiert. Sie würden versuchen, psychologische Hilfe anzubieten.


Anfang November wurde in Pretoria und Nairobi unter Vermittlung der Afrikanischen Uni-on eine „Einstellung der Feindseligkeiten“ im Regionalstaat Tigray ausgehandelt. Der vereinbarte Waffenstillstand wird aber bisher von der eritreischen Armee ignoriert, die weiter-hin Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begeht. Der Krieg in Oromia stand bei den Verhandlungen nicht einmal auf der Tagesordnung. Die humanitäre Hilfe für über fünf Mil-lionen Menschen allein in Tigray läuft erst langsam an, das Internet ist weiterhin abgeschal-tet. Eine Initiative um den Politologen und Menschenrechtler Prof. Heiner Bielefeldt aus Erlangen, der sich auch das Afrikareferat im Berliner Missionswerk anschloss, appellierte kürzlich an die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, Luise Amtsberg: „Es darf nicht sein, dass die internationale Gemeinschaft im Falle Tigrays einmal mehr erst im Rückblick gewahr wird, welche politischen Versäumnisse den Weg zu weiteren humanitären Ka-tastrophen bereitet haben.“

Zu Äthiopien ist dieser Tage eine EKD-Publikation mit vielen Berichten und Analysen er-schienen unter dem eindringlichen Ruf aus Psalm 25: „Bewahre meine Seele und errette mich; lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue auf dich!“ Sie ist zu finden unter www.ekd.de/reminiszere.


Wir sind als EKBO und Evangelische Landeskirche Anhalts der Mekane Yesus Kirche seit 50 Jahren herzlich verbunden. Es gibt einige Gemeindepartnerschaften wie in Schmöckwitz, Berlin oder in Zieko an der Elbe und gegenseitige Besuche. Der Berliner Kirchenkreis Nord-Ost fördert alle zwei Jahre große Wasserprojekte im südlichen Äthiopien. Das Berliner Missionswerk konzentriert sich in verschiedenen Regionen der Partner auf Bildungsprojekte, Kantor:innenausbildung wie auch Frauenförderung. In den letzten Jahren ist angesichts des Krieges die Nothilfe (Getreide, Schulgebühren, Notunterkünfte) in den Vordergrund gerückt.

Spendenkonto: Evangelische Bank, BIC GENODEF1EK1, IBAN DE86 5206 0410 0003 9000 88, Stichwort: "Nothilfe Äthiopien"